Presseecho
27.11.2009
DIE WELT
Juniorfirmen ermöglichen Lernen in der Praxis
Egal ob Fahrradwerkstatt, Reisebüro oder Catering-Service - hier entdecken Jugendliche die Spielregeln des Marktes.
Die Welt der Wirtschaft wird immer komplexer, gestern noch gültige Spielregeln gelten vielleicht morgen schon nicht mehr: Nichts verdeutlicht das besser als die laufenden Debatten über die richtigen Wege aus der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise. Selbst ausgewiesene Experten sind sich nicht einig, welche Konsequenzen zu ziehen sind. Wie sollen da Lehrer des Fachs Wirtschaft ihren Schülern diese schwer zu durchdringende Materie verständlich näherbringen?
Hier treten die Schülerfirmen auf den Plan, die besonders geeignet sind, Jugendlichen das bisweilen abstrakte Thema begreiflich zu machen. Bundesweit lassen sich mittlerweile mehrere Tausend zählen: Allein in Mecklenburg-Vorpommern gründen sich pro Jahr etwa 150 neue Juniorenfirmen. In Berlin betreut das "Netzwerk Berliner Schülerfirmen" (NEBS) 250 solcher Initiativen an 48 Schulen, die gerade Jugendliche mit Lernschwierigkeiten an die Berufswelt heranführen wollen. 15 Gewerke von der Gärtnerei bis zum Fahrradgeschäft beteiligen sich am Netzwerk, das der Europäische Sozialfonds unterstützt. Einhundert Betriebe haben darüber Kooperationen mit den Nachwuchs-Betrieben geschlossen. Die sind über das Netz auch rechtlich abgesichert. Über 2500 Schülerinnen und Schüler des sonderpädagogischen Förderschwerpunkts "Lernen" betätigen sich mittlerweile über NEBS in einem Jung-Unternehmen.
Eins von ihnen - "Conrads" - hat sich erst vor zwei Jahren gegründet. In der Regel zwischen 15 und 16 Jahre alt sind seine Mitarbeiter, die mit ihrem eigenen Catering-Service auf den Markt getreten sind. Dort können die Jungen und Mädchen in der ökonomischen Wirklichkeit ausprobieren, was sie zuvor im Unterricht an der ASIG-Berufsfachschule gelernt haben. ASIG steht für "Arbeit-Schule-Integrations-Gesellschaft" und ist als eingetragener Verein Träger der gleichnamigen Fachschule. Neben Jobs im Gastgewerbe bildet die Gesellschaft künftig auch angehende Hotelfachleute, Sozialassistenten und Altenpfleger im dualen System aus - mit Schülerfirmen.
"Die Idee ist, Leistungsdefizite durch anwendungsorientiertes Lernen auszugleichen", sagt Arno Schelzke, Vorstandsvorsitzender der ASIG. "So können die Jugendlichen ihre Stärken und Schwächen erkennen. Außerdem steigert diese Praxis die Motivation zum Lernen."
Conrads setzt daher auf ein Konzept nach dem Rotationsprinzip. "Damit jede und jeder Einzelne seine Neigungen und Talente selbst herausfinden kann", sagt Schelzke. Wer also das eine Mal für die Geschäftsführung zuständig war, kümmert sich später dann um die Buchführung oder die Kasse. Auch Service mit Kundenkontakt, Ein- und Verkauf von Waren gehört wie die Produktion der Speisen in der Lehrküche zum Stundenplan.
Und verarbeiten die jungen Caterer zum Beispiel einmal exotische Früchte oder vegane Produkte für das Fingerfood eines Events - dann klären die zubereitenden Schüler ihre Kollegen vom Service über diese Finessen auf. Die wiederum können dann den Konsumenten der Party-Häppchen auf Nachfrage erklären, was sie sich da gerade schmecken lassen. Dafür ist also effektive Teamarbeit genauso gefragt wie die Fähigkeit zum Konfliktmanagement und Zuverlässigkeit beim Zusammenspiel der einzelnen Aufgabenbereiche. Zwei Fachleute aus der Gastronomiebranche betreuen die angehenden Fachkräfte für das Gastgewerbe. Schließlich soll am Ende der mehrjährigen Ausbildung jeder Teilnehmer auch die Prüfung an der Industrie- und Handelskammer bestehen.
Für bis zu 120 Personen kann "Conrads" ein Drei-Gänge-Menü zubereiten. Einsätze wie bei einem Presseempfang des Bundestagspräsidenten sind für Azubis immer wieder Ansporn, sich persönlich und fachlich weiterzuentwickeln. Das gilt auch für das Lehrpersonal, das die Schüler bei ihren ersten Schritten in der Business-Welt der Erwachsenen begleitet. In Echtzeit erfahren die Lehrer, was ihre Jung-Unternehmer auf dem Markt erleben. Dieses Wissen fließt dann in den Unterricht der nächsten Generation von Gastro-Fachkräften ein - denn auch Conrads wird, wie meist bei Schülerfirmen üblich, an die nächste Klasse vererbt. (Tobias von Heymann)